Klavierkunst trifft Wortkunst

Veröffentlicht: Donnerstag, 24. Oktober 2019 Geschrieben von Detlef Lang

Veranstaltung „Tea for Two“ in der Friedenskirche

„Tea for Two“ in Uslar: Gerrit Zitterbart (links) am Klavier und Klaus Pawlowski brauchen keine große Show, um ihr Publikum für sich zu gewinnen. FOTO: GUDRUN PORATH
„Tea for Two“ in Uslar: Gerrit Zitterbart (links) am Klavier und Klaus Pawlowski brauchen keine große Show, um ihr Publikum für sich zu gewinnen. FOTO: GUDRUN PORATH

Uslar – Wenn Zuschauer die erste Reihe meiden, hat das Gründe. Angst, angesprochen zu werden und mitmachen zu müssen, zum Beispiel. Beim „Tea for Two“ des Literatur- und Kunstkreises mit Gerrit Zitterbart und Klaus Pawlowski in der Friedenskirche in Uslar zählt das nicht.

„Warum sitzt hier eigentlich keiner in der ersten Reihe?“, fragt Klaus Pawlowski und gibt die Antwort gleich selbst. In den vorderen Reihen sei die Gefahr groß, vom Künstler angesprochen zu werden und mitmachen zu müssen.

Also gehe man lieber auf Sicherheitsabstand. In diesem Fall sei das aber ganz unbegründet, führt Pawlowski aus und bewegt seine Zuschauer dazu, sich umzusetzen. So füllt er die Stuhlreihen auf, die direkt vor Pianist Gerrit Zitterbart und ihm noch leer sind.

Schließlich ist es wirkungsvoller, zu einem Block mit 40 Zuhörern zu sprechen, als den Kontakt zum weiter entfernt vereinzelt sitzenden Publikum herzustellen. Eine Dame in der ersten Reihe muss dann doch eine Schrecksekunde überwinden, als der ehemalige Hochschullehrer Pawlowski ihre Handtasche entführt, um zum ersten Programmpunkt überzuleiten.

Den übernimmt Gerrit Zitterbart. Der Pianist aus Göttingen lässt die Tasten des Pianos tanzen. „Kitten on the Keys“ lautet der fast 100 Jahre alte Song des amerikanischen Komponisten und Ragtime- Interpreten Zez Confrey.

Zitterbart und Pawlowski, beide erfahrene Bühnenkünstler, aber erst seit rund einem Jahr gemeinsam unterwegs, spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Hat Pawlowski eine seiner zahlreichen, in der Tageszeitung „taz“ veröffentlichten Gedichte und Balladen mit satirischem Unterton und kleinen Schärfen vorgetragen, schafft Zitterbart die dazu passende Stimmung mit dem Klavier.

Wenn Pawlowski etwa von der Allwissenheit des Internets erzählt – „ein Küsschen für die Nachbarin und schon bekomme ich Viagra angeboten“ – ist das traurig, und Zitterbart liefert einen Trauermarsch, beispielsweise von Mozart, denn „der geht immer“.

Dabei hat Zitterbart den schwierigeren Part, denn der atmosphärisch kühle Kirchenraum macht es schwer, das Piano wirklich traurig klingen zu lassen.

Doch das ist nur eine kleine Ablenkung von der großen Wort- und Spielkunst der beiden Protagonisten vor dem Altar, die politische Themen ebenso beleuchtet wie Alltägliches und Literarisches. Sei es die Moritat vom treuen Staatsdiener Ernst Betz, der zwei Jahre tot im Bundestag sitzt und keiner merkt es, die Vogelwelt, die mit Kohlemeise und Abgreifvogel doch nur ein Spiegel der Realität ist, bis hin zum „Leiden mit Schiller“ in Anlehnung an dessen Ballade vom Erlkönig.

Pawlowski ist der Wortakrobat, Zitterbart der Fingerakrobat am Klavier, der die Herzen spätestens mit Debussys Liebeslied „Claire de Lune“ schmelzen lässt. Das Publikum wiederum versteht sich auf die Kunst des Klatschens und macht davon ausgiebig Gebrauch. zyp

Quelle: HNA - Sollinger Allgemeine vom 24. Oktober 2019

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