Realität als Unterhaltung

Veröffentlicht: Dienstag, 02. November 2021 Geschrieben von Detlef Lang

Jubiläumslesung mit Max Goldt im Forum des Gymnasiums

VON GUDRUN PORATH

Kleist-Preisträger und Satiriker-Legende Max Goldt nach seiner Literaturherbstlesung im Forum des Gymnasiums Uslar. FOTO: GUDRUN PORATH
Kleist-Preisträger und Satiriker-Legende Max Goldt nach seiner Literaturherbstlesung im Forum des Gymnasiums Uslar. FOTO: GUDRUN PORATH/figcaption>

Uslar – Er ist der Mann der ersten Stunde beim Göttinger Literaturherbst und darf im Jubiläumsprogramm nicht fehlen. In Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei, dem Literatur- und Kunstkreis und der Buchhandlung Bücherwurm in Uslar las der Schriftsteller Max Goldt im Forum des Gymnasiums vor einem begeisterten Publikum.

Zum dritten Mal in seiner 30-jährigen Geschichte ist der Göttinger Literaturherbst in Uslar zu Gast. Obwohl die Zuschauer die Lesung auch online verfolgen können, sind viele ins Forum gekommen, das unter Corona-Bedingungen fast voll besetzt ist. Für das Publikum ist Max Goldt in Uslar eine Premiere, für Max Goldt nicht. Der 1958 in Göttingen geborene Künstler, der heute in Berlin lebt, war schon einmal in der Stadt, 1971 sei das gewesen, die erste Überlandradtour mit Freunden.

An den Ort zurückerinnern kann er sich kaum, ansonsten ist Max Goldts Beobachtungsvermögen ungetrübt und scharf. Das ist in seinen Texten zu lesen und in den Comics zu sehen, die er als Kolumnen, in Büchern oder als Teil des Comic-Duos Katz und Goldt veröffentlicht hat und an diesem Abend liest.

Da geht es um Sodbrennen statt Snobismus, was eigentlich gar nichts miteinander zu tun hat, aber in der Welt der Apothekenzeitschriften doch irgendwie zusammenzuhängen scheint. Oder die Büchse der Pandora, deren Inhalt von der Vorstellungswelt von Kindern heute weiter entfernt ist als der Mond, weil Chiasamen geläufiger sind als Ungemach.

Goldt positioniert sich gegen den Audio-Guide im Museum, der den Besucher in vorgeschriebene Bahnen lenkt, statt eigene Erfahrungen zu ermöglichen, skizziert den abrupten Wechsel von Mitleid zu Zorn und Hass anhand des Zusammentreffens von Hippster-Eltern und Einzel-Essern im Restaurant, mischt makabre Details – es kann vorkommen, dass Verdurstende ihre Augen verspeisen, denn die sind ja bekanntlich feucht – mit Alltagsbeobachtungen am Flughafen und Sprachkritik mit Gesellschaftskritik.

Den „Alltag“ etwa definiert Goldt zum Amüsement der Zuhörer als „die gleichzeitige Abwesenheit von Liebe, Weihnachten und Krieg“, was die Gesellschaft angeht, so sei den Menschen in 50 Jahren Popkultur das Denken abgewöhnt worden.

Die Popkultur nimmt der Kleist-Preisträger in seinen perfekt formulierten und grammatisch äußerst korrekten Texten immer wieder aufs Korn und lässt konservatives Denken durchscheinen, wenn es etwa heißt „Strebsamkeit und Ehrgeiz sind genauso gute Weltmotoren wie die Liebe“. Der Witz an Goldts Witz ist, dass gar nicht witzig ist, was er so elegant und präzise mit hohem Wiedererkennungswert formuliert. Zum Lachen und Schmunzeln ist es gerade deswegen.

Nach 80 Minuten Lesung hat der Satiriker Max Goldt auf Wunsch des Publikums noch eine Zugabe parat. Ein „Performance Piece“ im Sprechgesang. Schließlich war er in den 1980er-Jahren als Teil der Musik-Duos Foyer des Arts sogar in der ZDF-Hitparade. Eine Zugabe für den Künstler selbst gibt es aus der Hand von Bürgermeister Torsten Bauer. Passend zu dessen Beobachtungen aus dem echten Leben hat er dem Künstler kulinarische Leckereien der Regionalmarke Echt mitgebracht.

Quelle: HNA - Sollinger Allgemeine vom 02. November 2021

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