Alles ist im Fluss

Veröffentlicht: Samstag, 19. März 2005 Geschrieben von Detlef Lang

Polnischer Journalist Adam Krzeminski über deutsch-polnische Beziehungen

USLAR. Kein Platz mehr in der Kassenhalle der Kreissparkasse in Uslar: 80 Zuhörer waren gekommen, um dem Vortrag des polnischen Journalisten Adam Krzeminski zu hören, der auf Einladung des Literatur- und Kunstkreises Uslar zum Thema "Polen und Deutschland im Jahr 2005 - wachsende Freundschaft - kritische Distanz" referierte.

"Es ist schon bewegend, dass es in einer kleinen Stadt ein so großes Echo auf dieses Thema gibt", sagte Krzeminski mit Blick auf die vollen Ränge, "ich will versuchen, die Befindlichkeiten der Polen zu skizzieren." Wichtig sei, dass Deutsche und Polen gemeinsam eine europäische Zukunft entwickelten.

Krzeminski erläuterte kurz das historisch gewachsene Deutschland-Bild seiner polnischen Mitbürger. Deutschland sei in Polen Immer als übermächtiger Nachbar und gefährlichster Feind wahrgenommen worden, eine Einschätzung, die sich während des Zweiten Weltkriegs bestätigt habe. Deswegen sei die Teilung Deutschlands zunächst auch befürwortet worden. Wenn es zwei Deutschlands gibt, umso besser für uns, habe es geheißen.

Erstmals 1970 seien andere Gedanken aufgekommen, berichtete der Bundesverdienstkreuzträger. Nach und nach habe sich die Sichtweise durchgesetzt, dass Deutschland ein Anrecht auf die Wiedervereinigung habe. Nach dem Mauerfall habe man das vereinigte Deutschland als Polens Tor zum Westen gesehen. Diese Hoffnungen hätten sich mit Nato- und EU-Beitritt auch bestätigt.

Einige Differenzen habe es beim Irak-Krieg und in den Fragen der deutschen Entschädigungsansprüche und polnischen Reparationsrechte gegeben, aber auch positive Ansätze wie mit der Zusammenarbeit bei der orangenen Revolution in der Ukraine seien zu verzeichnen gewesen. "Im deutsch-polnischen Streit geht es eher um die Symbolik und nicht um die historischen Tatsachen", analysierte der Redakteur der Warschauer Tageszeitung Polytika.

Momentan sei in Polen "alles im Fluss". In der politischen Klasse gebe es einen Generationswechsel. Sowohl national-katholische und linke Parteien als auch der Mitte-Zentrums-Block stünden vor einer Neuordnung. "Inwieweit nationalistische Parolen eine Rolle spielen, werden wir bei den beiden in diesem Jahr anstehenden Wahlen sehen", so Krzeminski.

Überhaupt gebe es ein sehr ambivalentes Verhältnis der polnischen Bevölkerung zu Europa. Zum einen spreche sich eine große Mehrheit für die EU aus, zum anderen gebe es den Wunsch nach einem stärkeren Nationalstaat. Dadurch sähen die meisten Polen ihre Interessen besser durch EU-skeptische Parteien vertreten. "Man kann schon von einer gewissen Schizophrenie sprechen", analysierte Krzeminski. (ZNO)

Quelle: HNA - Sollinger Allgemeine vom 19. März 2005

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